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Mindestlohn und Bürgergeld: Warum echte Chancen nur durch Qualifizierung entstehen

Das Bürgergeld ist längst mehr als eine Sozialleistung – es ist zum Prüfstein für die Sozialpolitik in Deutschland geworden.

10.09.2025

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Das Bürgergeld ist längst mehr als eine Sozialleistung – es ist zum Prüfstein für die Sozialpolitik in Deutschland geworden. In der aktuellen Koalition zwischen SPD und CDU prallen dabei zwei Grundverständnisse des Sozialstaats aufeinander: Die SPD betont Schutz, Chancen und ein modernes Sicherheitsnetz, während die CDU stärker auf Pflichten, Eigenverantwortung und einen klareren Abstand zur Erwerbsarbeit pocht. 

 

Genau deshalb spielt das Bürgergeld eine zentrale Rolle in den politischen Auseinandersetzungen – es steht sinnbildlich für die Frage, wie fair, fordernd oder fördernd der deutsche Sozialstaat künftig ausgestaltet sein soll. 

 

Die Hans-Böckler-Stiftung hat im August 2025 eine Studie vorgelegt, die zeigen will: Vollzeitarbeit im Mindestlohn bringt im Schnitt 557 Euro mehr Netto pro Monat als der Bezug von Bürgergeld. Alleinerziehende mit Kind kommen auf 749 Euro mehr, ein Paar mit zwei Kindern auf rund 660 Euro. Selbst in teuren Städten wie München bleibe noch ein Abstand von 380 bis 444 Euro. Damit wollen die Forscher und mit ihnen auch die Gewerkschaften belegen, dass sich Arbeit „lohnt“. 

 

Doch bei genauer Betrachtung zeigt die Studie das Gegenteil: Rechnet man den bloßen Mehrbetrag auf die durchschnittliche Vollzeit-Arbeitszeit von rund 165 Stunden herunter, ergibt sich ein „gefühlter Zusatzstundenlohn“ von lediglich gut 3 Euro. Berücksichtigt man zusätzlich, dass Bürgergeld-Beziehende bis zu 100 Euro aus einem Minijob anrechnungsfrei behalten dürfen, sinkt dieser Abstand noch weiter. Dass Gewerkschaften diese Ergebnisse als Beweis für die Attraktivität von Arbeit interpretieren, ist kaum nachvollziehbar – faktisch verteidigen sie damit ein System, das einen rechnerischen Stundenlohn von 3 Euro und weniger rechtfertigen würde. 

 

Hinzu kommt, dass der gesetzliche Mindestlohn selbst eine strukturelle Hürde darstellt. Ein hoher Mindestlohn trifft in erster Linie einfache, unqualifizierte Tätigkeiten. Steigt er deutlich an, müssen qualifizierte Tätigkeiten automatisch stärker entlohnt werden, um Ausbildung, Verantwortung und Kompetenz auch finanziell attraktiv zu halten. Für Unternehmen bedeutet dies jedoch, dass die Personalkosten insgesamt stark steigen. Besonders mittelständische Betriebe geraten dadurch unter Druck: Sie müssen einerseits einfache Tätigkeiten zu Mindestlohnbedingungen finanzieren und andererseits qualifizierte Stellen noch deutlich höher vergüten, um diese überhaupt besetzen zu können. So wird der ohnehin angespannte Fachkräftemarkt zusätzlich belastet – nicht, weil Menschen nicht arbeiten wollen, sondern weil die Lohnstruktur den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vieler Unternehmen widerspricht. 

 

Die Studie erfüllt damit ihren Zweck nicht. Sie zeigt nicht, dass sich Arbeit im Niedriglohnbereich lohnend abhebt, sondern macht die systemischen Schwächen des Bürgergeldes deutlich. In der Praxis erleben viele Menschen, dass sich Vollzeitarbeit kaum spürbar mehr lohnt als Transferleistungen – ein Befund, der gerade in Zeiten von Arbeitskräftemangel fatal ist. 

 

Gleichzeitig verdeutlichen die Arbeitsmarktdaten ein strukturelles Problem: Mehr als drei Viertel der offenen Stellen erfordern eine abgeschlossene Berufsausbildung, während ein erheblicher Teil der Langzeitarbeitslosen über keinen formalen Abschluss verfügt. Hier klafft eine Qualifikationslücke, die mit strengeren Pflichten oder bloßer Sanktionierung nicht geschlossen werden kann. 

 

Hinzu kommt eine aktuelle Analyse der Bundesagentur für Arbeit, die belegt, dass viele Bürgergeldempfänger über sehr lange Zeiträume hinweg arbeitslos bleiben. Gerade diese Dauerarbeitslosigkeit ist ein Indikator dafür, dass das System an vielen Stellen nicht ausreichend wirkt: Es fehlen gezielte Förderungen, verpflichtende Qualifizierungen und ein konsequenterer Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente, um den Übergang aus der Grundsicherung in stabile Beschäftigung zu schaffen. 

 

Die Diskussion um das Bürgergeld zeigt, wie tief die Brüche in der Sozialpolitik sind. Sanktionen, Nullrunden und Pflichtprogramme verändern vielleicht die Oberfläche, lösen aber nicht das Kernproblem. Der Arbeitsmarkt braucht nicht nur Arbeitsbereitschaft, sondern vor allem anerkannte Kompetenzen. Verpflichtungen können ein Instrument sein, aber sie müssen durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen flankiert werden. 

 

Entscheidend wäre daher, Qualifizierung konsequent, unbürokratisch und praxisnah zu fördern, gerade für Migrantinnen und Migranten müsste ebenfalls die Annerkennung von Fachwissen schneller und unbürokratischer erfolgen. Nur wenn der Staat in Aus- und Weiterbildung investiert und klare Pflichten mit realen Chancen verbindet, entsteht ein echter Abstand zwischen Bürgergeld und Erwerbsarbeit – einer, der nicht nur rechnerisch besteht, sondern auch im Alltag spürbar wird. 


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