Kein Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Erschöpfungszuständen
Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf Basis der BAuA-Arbeitszeiterhebung 2021 analysiert den Einfluss der Arbeitszeitdauer auf das körperliche und emotionale Wohlbefinden von Beschäftigten. Dabei zeigt sich, dass rund 37 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland eine „normale Vollzeit“ von 35 bis 40 Wochenstunden arbeiten. Diese Gruppe fühlt sich weder körperlich noch emotional erschöpfter als Teilzeitkräfte. Ebenso bewerten sie ihre Arbeit nicht schlechter als Beschäftigte mit reduzierter Wochenarbeitszeit.
Dieses Ergebnis widerspricht der Annahme, dass eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit – beispielsweise in Form einer Vier-Tage-Woche – notwendig sei, um die Gesundheit von Vollzeitbeschäftigten zu schützen. Vielmehr zeigt die Analyse, dass individuelle und tätigkeitsbezogene Faktoren den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Erschöpfung stärker beeinflussen als die reine Wochenstundenzahl.
Belastung durch überlange Arbeitszeiten
Besonders auffällig ist, dass Beschäftigte mit überlangen Arbeitszeiten von mehr als 48 Wochenstunden – rund 12 Prozent der befragten Arbeitnehmer – deutlich häufiger unter Erschöpfungszuständen leiden. Dabei sind es vor allem Führungskräfte und hochqualifizierte Experten, die überdurchschnittlich oft lange Arbeitszeiten aufweisen. Diese Gruppen haben in der Regel größere Handlungsspielräume und arbeiten freiwillig länger, sei es aus Spaß an der Arbeit oder aus Karriere- und Einkommensmotiven.
Trotz der längeren Arbeitszeiten empfinden viele dieser Beschäftigten ihre Tätigkeit weiterhin als attraktiv. Das deutet darauf hin, dass bestimmte Gruppen gezielt überlange Arbeitszeiten wählen und dass es am Arbeitsplatz ausgleichende Faktoren gibt, die die negativen Effekte teilweise abmildern können.
Einfluss von Arbeitsplatzgestaltung auf Erschöpfung
Neben der reinen Arbeitszeit haben auch Faktoren wie das soziale Arbeitsumfeld und individuelle Handlungsspielräume einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden der Beschäftigten. So zeigt sich, dass emotionale Erschöpfungszustände bei jenen Arbeitnehmern geringer sind, die eine gute Zusammenarbeit mit Kollegen erleben oder von ihren Vorgesetzten unterstützt werden. Auch größere Autonomie bei der Arbeitsgestaltung kann helfen, die Belastung zu reduzieren.
Körperliche Erschöpfung hingegen korreliert stärker mit der Länge der Arbeitszeit und lässt sich durch diese Faktoren weniger beeinflussen. Hier zeigt sich, dass insbesondere sehr lange Arbeitszeiten gesundheitliche Risiken bergen können.
Wirtschaftliche und politische Relevanz
Die Frage nach der richtigen Arbeitszeitregelung ist nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine wirtschaftliche und politische Debatte. Im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels wird vermehrt über Möglichkeiten diskutiert, das Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeitgesetzgebung – beispielsweise durch eine Anpassung an die EU-Arbeitszeitrichtlinie mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden anstelle der derzeit geltenden täglichen Höchstarbeitszeit von maximal zehn Stunden – ist dabei ein zentrales Thema. Während Befürworter einer solchen Anpassung auf mehr Flexibilität und eine bessere Verteilung der Arbeitszeit verweisen, warnen Kritiker vor gesundheitlichen Risiken für die Beschäftigten.
Fazit: Forderungen nach kürzerer Arbeitszeit nicht gerechtfertigt
Die Analyse zeigt, dass die Forderungen nach einer generellen Reduzierung der Arbeitszeit nicht nur aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen problematisch sind, sondern auch aus gesundheitlicher Sicht nicht zwingend erforderlich erscheinen. Damit reduziert sich die Palette der Argumente von Gewerkschaften um einen weiteren essenziellen Punkt.
Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung für alle Beschäftigten würde nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Gesundheit führen. Vielmehr sind gezielte Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung – wie mehr Handlungsspielräume, soziale Unterstützung und flexible Arbeitsmodelle – sinnvoller, um Belastungen zu reduzieren, ohne das Arbeitszeitpotenzial unnötig einzuschränken. Hier sind der Gesetzgeber und die Sozialpartner gefordert, auf die moderne Arbeitswelt angemessen zu reagieren und entsprechende Regelungen zu schaffen. Die Ergebnisse der Umfrage können hier abgerufen werden.