HERFORD. Die deutschen Küchenmöbelhersteller leiden derzeit unter der Kaufzurückhaltung der Verbraucher. „Die Auftragslage in unserer Branche ist angespannt, der Auftragsbestand schmilzt immer weiter ab“, berichtete Stefan Waldenmaier, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Küchenmöbelindustrie e.V. (VdDK), auf der heutigen Jahreswirtschaftspressekonferenz in Herford. Schon seit Monaten entwickele sich der Auftragseingang rückläufig.
Laut den Verbandserhebungen lag der mengenmäßige Auftragseingang von Januar bis August 2023 um 11,5 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Bezogen auf den Wert ergibt sich ein Rückgang von 2,6 Prozent. Selbst im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 zeigen sich Einbußen: So unterschritt der mengenmäßige Auftragseingang bis August 2023 das damalige Niveau um 2,7 Prozent.
Neben dem auf schwachem Niveau verharrenden Konsumklima und dem unverändert hohen Kostendruck durch die gestiegenen Material- und Energiepreise bereitet der deutschen Küchenmöbelindustrie vor allem das schwierige Bauumfeld Sorgen. Die gestiegenen Baukosten und die höheren Zinsen führen zur Verschiebung und zu Stornierungen von Projekten. Rund ein Fünftel der Firmen im Wohnungsbau berichtete im August von abgesagten Projekten – ein neuer Höchststand, wie das Ifo-Institut meldete.
Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen sank in der ersten Hälfte dieses Jahres um 27,2 Prozent auf 135.200. Die Bundesregierung wird ihr Ziel von 400.000 Fertigstellungen laut Ifo-Institut in diesem und den nächsten Jahren deutlich verfehlen. Für dieses Jahr wird mit lediglich 245.000 fertiggestellten Wohneinheiten gerechnet, für das kommende Jahr mit nur 210.000 „Der stockende Neubau stellt die deutsche Küchenmöbelindustrie vor große Herausforderungen, zieht doch jede fertiggestellte Wohnung erfahrungsgemäß den Kauf von zwei bis drei neuen Küchen nach sich“, sagte Waldenmaier. Auch in wichtigen Exportmärkten schwächelt der Wohnungsbau. So sank die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser in Frankreich, dem wichtigsten Auslandsmarkt der deutschen Küchenmöbelhersteller, im Mai 2023 um 27,5 Prozent und im Juni 2023 um 17,4 Prozent. Für Gebäude mit zwei und mehr Wohnungen wurden im Mai 38,7 Prozent weniger Genehmigungen erteilt und im Juni 16,4 Prozent weniger.
In diesem Zusammenhang machte der VdDK-Vorstandsvorsitzende auf die große wirtschaftliche Bedeutung der Branchen Bauen und Einrichten aufmerksam: Das Cluster aus Wohnungsbau und Möbeln samt aller beteiligten Wirtschaftszweige wie der Herstellung, dem Handel und der Montage von Bauprodukten, Möbeln, Haushaltsgeräten und anderen Haushaltswaren zählt nach Berechnungen der Möbelverbände mehr als eine Million Beschäftigte. Zum Vergleich: Die stark im Fokus von Politik und Medien stehende deutsche Automobilindustrie umfasst inklusive der Zulieferer rund 800.000 Arbeitsplätze. „An unserer Branche und der gesamten Wertschöpfungskette hängt eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen – wir benötigen dringend Maßnahmen zur Belebung des Wohnungsbaus“, forderte Waldenmaier.
Angesichts des schwierigen Marktumfelds ist die Stimmung in der deutschen Küchenmöbelindustrie weiterhin verhalten. Zwar verbesserte sich der Ifo-Geschäftsklimaindex für das Segment im August leicht auf minus 17,5 Punkte (von zuvor minus 19,7 Punkten), aber die Branche liegt damit weiterhin unter dem Vergleichswert für das Verarbeitende Gewerbe (minus 16,6 Punkte). Aufgrund der schwachen Möbelnachfrage nutzt aktuell ein Fünftel der hiesigen Küchenmöbelproduzenten das Instrument der Kurzarbeit, wie die jüngste Verbandsumfrage zeigt. Ein Drittel der befragten Hersteller geht für das Gesamtjahr 2023 von einer sinkenden Beschäftigtenzahl in ihrem Betrieb aus.
In den ersten sieben Monaten dieses Jahres setzte die deutsche Küchenmöbelindustrie rund 3,8 Milliarden Euro um, ein Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie VdDK-Geschäftsführer Jan Kurth berichtete. Neben Preiseffekten sei der Zuwachs auch auf Auftragsüberhänge aus dem Vorjahr und statistische Effekte zurückzuführen, erläuterte Kurth. Im Monat Juli verbuchte die Branche die bislang schwächste Entwicklung in diesem Jahr: Der Umsatz gab um rund 7 Prozent auf 371,5 Millionen Euro nach. Dabei entwickelte sich der Inlandsumsatz (minus 9 Prozent) noch stärker rückläufig als der Auslandsumsatz (minus 5 Prozent).
Von Januar bis Juli 2023 trug der Auslandsumsatz mit 1,7 Milliarden Euro (plus 5,4 Prozent) zu 45 Prozent zu den Gesamtumsätzen der Branche bei. Damit liegt die Exportquote erheblich über dem Durchschnitt der gesamten deutschen Möbelindustrie (33,6 Prozent). Die Reihenfolge der wichtigsten Exportländer blieb unterdessen unverändert. Auf Rang 1 liegt weiterhin Frankreich (minus 5,3 Prozent), gefolgt von den Niederlanden (minus 17,7 Prozent) und Österreich (minus 23,7 Prozent). Ins Auge fällt die erfreuliche Steigerung der Ausfuhren in die Schweiz, dem viertgrößten Exportmarktmit, mit plus 2,9 Prozent. Rückläufig entwickelten sich ebenfalls die Lieferungen nach Belgien, (minus 20,6 Prozent), in das Vereinigte Königreich (minus 8,1 Prozent), nach China (minus 5,4Prozent) und Spanien (minus 29,5 Prozent). Ein kleines Plus von 0,3 Prozent wurde bei den Möbelausfuhren in die Vereinigten Staaten erzielt.
„Eine große Herausforderung für unsere Hersteller stellen die Engpässe bei Nachwuchs- und Fachkräften dar“, berichtete Kurth weiter. Mit der Lehrfabrik Möbelindustrie in Löhne, deren Spatenstich am 25. September 2023 erfolgt, geht die Branche einen großen Schritt nach vorne. „Mit diesem Leuchtturmprojekt wollen wir die Attraktivität der Aus- und Weiterbildung in unserer Branche erhöhen und auf diese Weise dem Fachkräftemangel entgegenwirken“, so Kurth. In der Lehrfabrik wird auf einer Fläche von 3800 Quadratmetern der Produktionsprozess eines typischen möbelverarbeitenden Unternehmens abgebildet. Von 2024 an sollen rund 200 Nachwuchskräfte im Jahr aus- und fortgebildet werden. An dem Vorzeigeprojekt beteiligen sich zahlreiche Küchenmöbelhersteller.
Beim Design von Küchen sind aktuell besonders viele Holzoberflächen oder Holzreproduktionen zu sehen, was den Wunsch nach Geborgenheit und Natürlichkeit in unsicheren Zeiten widerspiegelt. Stark im Trend liegt dabei die Rillenoptik, also Fronten mit vertikalen Lamellen. Kombiniert werden die Holzfurnier- oder Holzdekorfronten oft mit dunklen Farben. Beliebt sind vor allem Grautöne, aber auch warme Farben wie pudrige Creme- und Brauntöne oder auch Grün. Weiterhin „in“ bleiben matte Oberflächen, Antifingerprint-Eigenschaften, dünne Arbeitsplatten, offene Regale und flexible Reling-Systeme für die Küchennische. Weiterhin angesagt ist der moderne Landhausstil mit den charakteristischen Rahmenfronten. Zwar dominieren die grifflosen Küchen, aber es finden sich auch Küchen mit besonders markanten Griffen als Hinguckern. Eine große Rolle spielt bei den offenen Küchen der fließende Übergang in den Ess- und Wohnbereich durch wohnliche Elemente wie etwa Vitrinen oder Sitzbänke.
Eine immer größere Rolle bei der Kaufentscheidung spielt das Thema Nachhaltigkeit. „Durch die Nutzung des nachwachsenden Rohstoffs Holz und die lange Lebensdauer unserer Produkte sind wir per se schon gut aufgestellt“, sagte Waldenmaier. Dazu kommen vielfältige Aktivitäten der Unternehmen, wie unter anderem das Engagement beim Klimapakt der Deutschen Gütegemeinschaft Möbel (beinhaltet u.a. die Erstellung einer CO2-Bilanz und eines CO2-Reduktionsplans), die Wärmeerzeugung mit den Holzabfällen aus der eigenen Produktion, die Stromerzeugung mittels eigener Photovoltaikanlagen, der Einsatz von Spanplatten mit einem hohen Anteil an Recycling-Holz oder die Verwendung von Griffen aus recyceltem Kunststoff oder Schubladen-Innenausstattungen aus der Naturfaser Hanf – um nur einige Beispiele zu nennen.
Derzeit arbeiten die Möbelverbände zudem an einem Modellprojekt zur Rückführung von Altmöbeln in Nordrhein-Westfalen. Die Projektskizze sieht vor, dass die Altmöbel entweder einer zweiten Verwendung, etwa durch eine Aufbereitung oder ein Upcycling, zugeführt oder aber die darin gebundenen Rohstoffe im Rahmen des stofflichen Recyclings in den Kreislauf zurückgeleitet werden. Darüber hinaus erstellen die Möbelverbände für die Branche aktuell ein Konzept zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes. „Für die mittelständischen Hersteller bedeutet dies eine wertvolle Unterstützung bei der Bewältigung des zusätzlichen bürokratischen Aufwands”, sagte Waldenmaier. Zudem beschäftigen sich die Verbände intensiv mit den EU-Gesetzesvorhaben zur Circular Economy wie etwa dem digitalen Produktpass.
Mit Blick auf das anspruchsvolle Marktumfeld rechnet Waldenmaier – trotz einer erhofften leichten Belebung im Herbst – für die deutsche Küchenmöbelindustrie im Gesamtjahr 2023 mit einem Umsatzrückgang von rund 3 Prozent. „Auch das kommende Jahr wird für unsere Branche anspruchsvoll werden“, prognostizierte er. Es brauche einen Stimmungsumschwung, die Verbraucher müssten wieder Freude am Konsumieren finden. Die Politik müsse positive Signale senden, anstatt für Verunsicherung zu sorgen wie etwa mit den Diskussionen über das Heizungsgesetz. Eine große Bedeutung komme zudem dem weiteren Ausbau des Exports zu. Um das Wachstumspotenzial zu heben, befinden sich für das kommende Jahr unter anderem Messe-Gemeinschaftsstände auf dem britischen und nordamerikanischen Markt in Planung.
Generell zeigte sich Waldenmaier optimistisch, was die mittelfristigen Aussichten der Branche betrifft: „In der Corona-Zeit ist vielen Menschen der hohe Stellenwert der Küche bewusst geworden“, stellte er fest. Eine hochwertige Ausstattung werde den Verbrauchern immer wichtiger. „Diese Wertigkeit der Küche ist für unsere Branche ein hohes Gut, das wir bewahren und nicht durch Preiskämpfe im Handel gefährden sollten.“ Die deutsche Küchenmöbelindustrie sei mit ihren modernen Produktionsstätten und den innovativen Produkten hervorragend für die Zukunft aufgestellt.
vhnd2320_b1: VdDK-Vorstandsvorsitzender Stefan Waldenmaier (li.) und Geschäftsführer Jan Kurth berichten in Herford über die Lage der deutschen Küchenmöbelindustrie. Foto: VdDK
vhnd2320_a1: 2023-09 VdDK Factsheet Wirtschaftliche Lage (Seiten 1 und 2) Quelle: VdDK